Geschwisterrollen – wenn Prägungen ein Leben lang wirken

 

Geschwisterrollen – wenn Prägungen ein Leben lang wirken

In vielen Familien ist es ganz selbstverständlich:
Das große Geschwisterkind soll Rücksicht nehmen, vernünftig sein, Probleme lösen, das kleine Geschwisterkind unterstützen und beschützen.

Das kleinere hingegen darf weniger, kann weniger, ist angewiesen auf Hilfe und Anleitung.

Was auf den ersten Blick ganz natürlich wirkt, kann auf tieferer Ebene Spuren hinterlassen – und zwar ein Leben lang.

Die große Schwester. Der kleine Bruder.

Viele meiner Klient*innen berichten in der Therapie von tief verankerten Glaubenssätzen.
Sätze wie:

  • „Ich muss stark sein.“

  • „Ich darf keine Schwäche zeigen.“

  • „Ich schaffe das nicht allein.“

  • „Ich brauche jemanden, der für mich sorgt.“

Diese inneren Überzeugungen stehen oft in direktem Zusammenhang mit der Rolle, die sie in ihrer Geschwisterkonstellation eingenommen haben – ob als Älteste, Jüngste oder „Dazwischengeschobene“.

Die Großen fühlen sich häufig überfordert und verantwortlich.
Die Kleinen erleben sich als abhängig und weniger fähig.

Und oft gelten diese inneren Programme nicht nur im Geschwisterkreis, sondern wirken weit darüber hinaus: in Partnerschaften, im Beruf, im Selbstbild.

Muss ich mit 45 wirklich noch meine Schwester retten?

Eine meiner Lieblingsfragen in der Praxis ist:

Muss man seiner 45-jährigen Schwester wirklich noch unter die Arme greifen?

Oder andersherum:

Muss man als 45-jährige Frau wirklich noch darauf hoffen, dass die „große Schwester“ es schon richtet?

Natürlich nicht.
Aber alte Muster sitzen tief. Sie sind über Jahre gewachsen – und wirken oft unbewusst weiter.

Es ist an der Zeit, einander etwas zuzutrauen.
Zu vertrauen, dass jeder seinen eigenen Weg gehen kann – auf seine ganz eigene Weise.
Ohne sich verantwortlich zu fühlen. Und ohne sich klein zu machen.

Was Eltern tun können, um solche Prägungen zu vermeiden

Das Wichtigste ist: Kommunikation.
Statt automatisch Verantwortung zuzuteilen, lohnt sich ein bewusster Blick auf die Entwicklung und die Bedürfnisse jedes einzelnen Kindes.

Erklären Sie altersgerecht:

  • Warum das ältere Kind mehr darf – nicht, weil es älter ist, sondern weil es körperlich und emotional weiter ist.

  • Warum das jüngere Kind manches noch nicht kann – nicht, weil es „weniger wert“ ist, sondern weil es Zeit braucht.

  • Dass jeder in seinem Tempo wächst.

Sätze wie:

  • „Wenn Du soweit bist, wirst Du das auch können.“

  • „Dein Bruder war auch mal klein und brauchte Hilfe.“

  • „Auch Du wirst bald freier und selbstständiger sein.“

...helfen, Kindern ein realistisches Bild zu geben – und sie auf Augenhöhe zu begleiten.

Verantwortung ist keine Pflichtrolle

Nur weil ein Kind älter ist, heißt das nicht, dass es automatisch Verantwortung übernehmen muss.
Natürlich können große Geschwister eine wertvolle Hilfe sein – doch Betreuung und Erziehung sind und bleiben die Aufgabe der Erwachsenen.

Ältere Kinder haben das Recht, selbst Kind zu sein.
Geschwister sollen Wegbegleiter sein – keine kleinen Co-Eltern.

Fazit: Achtsamkeit statt Automatismus

Vermeiden Sie Überforderung – und ebenso Unterforderung.
Sprechen Sie mit Ihren Kindern. Hören Sie hin. Erkennen Sie ihre Bedürfnisse – nicht zu verwechseln mit bloßen Wünschen.

Denn Bedürfnisse zeigen, was ein Kind wirklich braucht, um gesund und selbstbewusst aufzuwachsen.

Und wie sieht es mit Ihnen selbst aus?

Haben Sie Geschwister?
Fragen Sie sich: Welche Rolle habe ich damals eingenommen?
Und wie sehr prägt sie mich noch heute?

Das bewusste Erkennen dieser Dynamik kann heilsam sein – und ermöglicht, alte Muster Stück für Stück loszulassen.

Nicht von heute auf morgen. Aber jeden Tag ein bisschen mehr.

 

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Herzlichst,

Alessandra Königsberger
Systemische Traumatherapeutin EMDR | Selbst-bewusst-Leben.com

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